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ATRO – Chapter 1, section 10 (German)

Mount Hekla

10. Island, 1946-47

Ich dachte, daß ich mich, indem ich mich in ein Land begäbe, das während des Krieges neutral gewesen war, von all der Atmosphäre würde befreien können. Es war eine Atmosphäre der Verdächtigungen. Es war eine Atmosphäre des Hasses auf alles Nationalsozialistische. Ich dachte mir: „Ich werde nach Island gehen. Island ist ein weit entferntes Land. Dort werde ich nichts über Nazis hören.“ Und am 8. November ’46 segelte ich von Hull aus nach Island. Ich hatte kein Geld außer fünfundzwanzig Pfund. Die Bootsfahrt kostete zwanzig Pfund. Nach einer sehr, sehr stürmischen Reise kam ich mit fünf Pfund in Reykjavik an.1 [1] Das Hotelzimmer kostete fünf Pfund. Ich konnte selbst ohne Frühstück nur eine Nacht bleiben.

Also ging ich zur Heilsarmee. Wo sollte ich hingehen? Und ich erzählte der Heilsarmee, daß ich gekommen sei, um Isländisch zu lernen. „Die Sprache interessiert mich und ich würde gern eine Arbeit bekommen.“ Und sie sagten: „Leider haben wir keine Arbeit für Sie, nicht mit Ihrem Doktortitel und Ihren L.Sc.- und M.A.-Abschlüssen. Die einzige Stelle, die wir haben, ist die eines Dienstmädchens auf einem Bauernhof einige Meilen von Reykjavik entfernt. Teller waschen.“ Ich sagte: „Geben Sie mir diese Stelle.“ Sie sagten: „Nachmittags werden Sie frei haben. An den Nachmittagen können Sie Isländisch lernen.“ Also arbeitete ich. Also wusch ich einen Monat lang Teller auf einem isländischen Bauernhof. Ich schnappte etwas Isländisch auf, natürlich nicht viel und schnappte es auch weiter auf. Ich fuhr damit fort, die Grammatik zu lernen und mich darin so gut zu verbessern wie möglich. Ich bewunderte den nordischen Typus Islands. Schöne Leute. Schöne Leute. Und daran zu denken, daß so viele von ihnen auf der anderen Seite standen. Gegen alles, wofür ich stehe. Das machte mich wütend. Aber sie waren schön.

Und eines Tages bekam ich einen Anruf. Der isländische Bauer hatte ein Telefon. Island ist ein extrem modernes Land – sehr modern. Und der Anruf kam von einem Isländer in Reykjavik, der mir mitteilte, daß er eine österreichische Ehefrau habe. Er wollte mich in einem Zimmer wohnen lassen, das er mir umsonst geben würde. Die einzige Bedingung war, daß ich mit seiner österreichischen Ehefrau Französisch sprechen sollte. Ich sagte: „Alles klar.“ Ich kam zu seinem Haus. Der Hund vom Bauernhof folgte mir über zehn Meilen hinweg durch den Schnee. Ich streichelte den Hund und er kam sogar mit bis zum Haus des Isländers. Und er fraß etwas und ging zurück. Ich blieb dort. Ich blieb fast ein Jahr lang dort.

Ich sah den Ausbruch der Hekla. Am 29. März 1947 begann er und er dauerte praktisch das ganze Jahr lang. Ich ging ihn mir am 4. April anschauen und verbrachte die Nacht des 5. April auf den Abhängen des ausbrechenden Vulkans. Ich wollte die erste Nacht dort verbringen, aber die Leute, mit denen ich dort war, nahmen meine Jacke und ich mußte wieder mit hinabsteigen. Ich konnte nicht die ganze Nacht über – eine zudem verschneite Nacht – ohne Jacke, ohne Mantel bleiben.

Ich stand vor dem Lavastrom. Die Lava der Hekla ist Säurelava. Sie enthält 60-65% Silizium. Sie ist zähflüssig. Sie fließt nicht wie Wasser, wie die Lava des Vesuv oder die Lava des Stromboli. Sie braucht ihre Zeit zum verlaufen, kriecht einige Meter pro Tag. Und ihre Oberfläche ist mit einer Kruste von fünf Zentimetern, oder vielleicht mehr, bedeckt. Und wenn diese unter dem Druck der Brocken von innen her aufbricht, gibt es ein eigenartiges Geräusch, wie zerbrochenes Geschirr. Ich ging dort auf und ab, auf und ab, den Strom entlang, die ganze Nacht über.

Und ich wollte um den Strom herumgehen und näher zum Krater. Aber einige Wissenschaftler dort sagten mir: „Tun Sie das nicht, denn die beiden Lavaströme könnten sich zu einem einzigen vereinen und Sie befänden sich auf einer Insel, umgeben von Lava, und könnten diese nicht mehr verlassen.“ Also konnte ich das nicht tun.
Plötzlich kamen Flammen heraus – zwei, drei Stellen, neue winzige, kleine Krater. Ich floh natürlich. Aber die ganze Zeit über beeindruckte mich das Brüllen des Vulkans, wie der Ursprungslaut der hinduistischen Tradition. Der Ursprungslaut der Schöpfung ist „Aum“.2 [2] Der Vulkan sagt alle zwei oder drei Sekunden: „AUM! AUM! AUM!“ Und die Erde bebt die ganze Zeit unter deinen Füßen.

Aber ich wartete. Ich sah den Sonnenaufgang darüber. Es war eine schöne Landschaft. Und ich versuchte hinunterzusteigen. Aber anstatt hinunterzukommen, verirrte ich mich. Und in meiner Hand hatte ich ein großes Stück Lava. Ich hatte auch einige kleine, aber ich hatte auch ein großes, zehn oder fünfzehn Kilo schwer. Da war ein Felsbrocken, der von selbst aus dem Lavastrom flog und das vor meinem Gesicht angeflogen kam. Es war zehn oder fünfzehn Zentimeter vor meinem Gesicht. Hätte er mich getroffen, könnte ich jetzt hier nicht reden. Und dann kühlte er ab und als er abkühlte, konnte ich ein Stück mitnehmen. Ich nahm ein großes Stück und nahm es mit. Ich dachte daran, es einigen Freunden zu geben, wenn ich zurückkäme. Aber es war schwer und ich wurde erschöpfter und ab einem bestimmten Punkt konnte ich den Weg zurück nicht mehr finden. Ich konnte den Weg zurück einfach nicht finden. Vor Verzweiflung fing ich an zu weinen. Ich sagte: „Ich habe den Fluß überquert, um hierhin zu kommen. Wo ist der Fluß?“

Dann fand ich den Fluß. Ich ging hinunter und ließ den großen Brocken liegen. Ich konnte ihn nicht mehr länger tragen und dann sah ich jemanden am Flußbett. Ich sah zwei Kinder. Ich rief sie. Bei meinem Anblick rannten sie davon. Und ich sah einen Mann und fragte ihn. Ich sagte: „Der Bauernhof Soundso, der Hof, von wo ich gekommen bin, wo ist der?“ „Er ist gleich dort. Er liegt um die Ecke. Gehen Sie hinunter, dann links. Er ist um die Ecke.“
Ich kam zum Hof zurück und beguckte mich selbst im Spiegel. Als ich mich selbst im Spiegel sah, verstand ich, warum die Kinder geflohen waren. Mein Gesicht war schwarz von Vulkanasche und Rauch, völlig schwarz und meine Augen waren rot und voll Vulkanasche und sie schmerzten und weiße Tränen liefen durch das Schwarze. Ich sah schrecklich aus. Ich verstand es also. Jedenfalls wusch ich mein Gesicht und setzte mich hin und trank eine schöne Tasse Kaffee und aß eine Scheibe Brot mit Butter und der Tag verging und ich ging zurück zu dem Ort, an dem ich wohnte, einige Meilen entfernt vom Vulkan. Aber das war ein einzigartiges Erlebnis.3 [3]

Ich liebe Vulkane. Wenn ich das Geld und die Möglichkeit hätte, sähe ich gern alle Vulkane der Erde. Ich hörte gern den Chimborazo und den Cotopaxi am Äquator.4 [4] Ich hörte gern ihr Brüllen, sähe gern ihre Lavaströme. Ich liebe sie. Ich erinnere mich einer Bezeichnung, die uns in der Schule bezüglich des pazifischen Ozeans vertraut war, „la ceinture de fleur de Pacific“ – „der Blumengürtel des Pazifik“ – Japan, Alaska, Südamerika, rundum, rundum. Ich sähe sie gern. Aber ich habe in meinem Leben nur drei gesehen.5 [5] Ich weiß nicht, ob ich lang genug leben werde, um noch einen weiteren zu sehen.

Jedenfalls hatte ich im Sommer des Jahres einige Schüler. Ich lebte in Island. Ich hatte Isländisch zu lernen. Ich sprach es flüssig. Es ist eine dem Deutschen sehr ähnliche Sprache und als ich Isländisch konnte und das Radio und Leute sprechen hören konnte, dachte ich, daß es keinen Deut besser sei als England. Nur die Landschaft war anders. Aber die Mentalität der Leute war genau dieselbe. Dieselbe dümmliche Antinazimentalität. Mit Propaganda abgefüttert und mit der Reaktion auf alles, was menschlichen Wesen wehtut.6 [6]