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Defiance – Der leere Zug

„Ich habe hier einige Veröffentlichungen… gefährliche Veröffentlichungen; möchten Sie sie sehen?“, fragte ich den hochgewachsenen und gut aussehenden jungen Deutschen, der neben mir durch die Unterführung lief, die zu dem Bahnsteig führte, von dem aus ich am Kölner Bahnhof in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1949 meinen Zug nehmen sollte. Ich hatte den Mann einige Stunden zuvor in der „Katholischen Mission“ desselben Bahnhofes getroffen und wir hatten uns lange genug unterhalten, sodaß er die Überzeugung erlangen konnte, daß er mir vertrauen konnte, ebenso wie ich ihm – gelinde gesagt.

Für eine halbe Sekunde hielt er inne und schaute sich um, um zu sehen, ob uns jemand folgte oder ob irgendein Passant möglicherweise meine Worte gehört haben könnte. Aber wir waren die einzigen Leute in dem langen, düsteren Gang. Der junge Mann drehte sich zu mir und antwortete mit gedämpfter Stimme: „Ja, geben sie mir eins.“

Ich zog ein vierfach gefaltetes Plakat aus meiner Tasche und legte es ihm in seine Hand. „Bleiben Sie nicht stehen, um es jetzt zu lesen“, sagte ich, „sondern warten Sie, bis wir im Zug sind, gehen sie dann zur Toilette und lesen Sie es dort, wo niemand hereinkommen und Sie stören kann. Sie haben haufenweise Zeit. Schauen Sie, ob Sie solche Veröffentlichungen für brauchbar halten und teilen Sie mir es dann offen mit. Wenn Sie mehr wollen, habe ich noch reichlich davon.“

Der junge Mann versteckte das wertvolle Papier in der Innentasche seines Mantels und setzte stillschweigend seinen Gang an meiner Seite fort, half mir, mein bißchen Gepäck zu tragen. Wir erreichten den Bahnsteig. Der Zug stand dort – praktisch leer, da er erst eine Stunde später, um 1:12 Uhr, abfahren sollte, wenn ich mich recht erinnere. Ein scharfer Wind blies und es war bitterkalt.

Der junge Mann half mir, meinen Koffer in den Eisenbahnwaggon zu heben, stieg dann selbst ein und begab sich dann, wie ich angeregt hatte, ins beste Versteck, um das Plakat zu lesen. Die unter einem schwarzen Hakenkreuz, welches etwa ein Drittel der Seite ausfüllte, in beträchtlichen Großbuchstaben geschriebenen Worte, die er las, waren die folgenden:

DEUTSCHES VOLK,
WAS HABEN DIE DEMOKRATIEN DIR GEBRACHT?
IM KRIEGE PHOSPHOR UND FEUER.
NACH DEM KRIEG HUNGER, ERNIEDRIGUNG, UNTERDRÜCKUNG,
DIE DEMONTAGE DER FABRIKEN,
DIE ZERSTÖRUNG DER WÄLDER
UND NUN — DAS RUHR-STATUT!
ABER „DIE KNECHTSCHAFT DAUERT NUR NOCH KURZE ZEIT“.
Unser Führer lebt
UND WIRD BALD MIT NOCH NICHT DA GEWESENER MACHT ZURÜCKKEHREN. ERWEHRT EUCH UNSERER VERFOLGER!
HOFFT UND WARTET.
HEIL HITLER!

Die Veröffentlichung war mit „S. D.“ unterschrieben – d. h. mit meinen eigenen Initialen.

Der junge Deutsche kam aus seiner Ecke. Ein sonderbares Licht schien in seinen leuchtenden grauen Augen und sonderbare Bestimmtheit lag in seiner Stimme. „Geben Sie mir so viele von diesen Plakaten, wie sie haben. Ich werde sie für Sie ankleben!“, sagte er. Er war nicht länger der einsame, hungrige, trostlose Kriegsgefangene, der gerade erst nach vier langen Jahren aller Arten schlechter Behandlung durch die Hände der Feinde Deutschlands heimgekehrt war. Er war nochmals der Soldat eines siegreichen Deutschlands geworden – eines unbesiegbaren Deutschlands – und der Herold Hitlers ewiger Idee, nochmals sein altes Selbst, das nichts zu töten vermochte.

Ich bewunderte ihn und erinnerte mich im Geiste der Worte, die ich einst in einem Dorf im Saarland, etwa sechs Monate zuvor, von einem anderen aufrichtigen Nationalsozialisten vernommen hatte: „Wir warten auf den Funken.“ Konnte es sein, daß ich etwas von einem Funken hatte – einem Funken des Glaubens und der Hoffung – inmitten der endlosen Dunkelheit der Gegenwart? Als dieser Gedanke mein Bewußtsein betrat, stiegen mir Tränen in die Augen und ein Nervenkitzel gewaltiger Begeisterung durchfuhr meinen Körper und schien mich über mich selbst hinauszuheben. Durch die Fenster des Zuges konnte ich im dämmerigen künstlichen Licht die zerrissenen Konturen von etwas sehen, was einst eine Mauer gewesen war – Ruinen, nichts als Ruinen, wohin auch immer man seine Augen im unglücklichen Deutschland richtet, dem zerrissenen und niedergeworfenen Körper Hitlers gematerten Landes. Doch vor mir, vor dem Hintergrund der Verwüstung, stand der junge Mann (er kann nicht älter als dreißig gewesen sein), auf dem Schlachtfeld für die Sache der neuen Ordnung fünfzehn mal verwundet, über drei Jahre Gefangener der Franzosen in einem Zwangsarbeitslager im brennenden Herzen Afrikas unter der Peitsche afrikanischer Hilfstruppen, hungrig, ohne Arbeit, anscheinend ohne Zukunft (er hatte mir von seiner Misere erzählt), jetzt aber aufrecht und hoffnungsvoll, nochmals gewahr seiner Unbesiegbarkeit.

In seinen sprühenden Augen glimmte die deutsche Seele – wie eine greifbare Wirklichkeit – lebendiger als je zuvor auf und sprach zu mir mit seiner inneren Stimme.

„Wer hat ‚diese Dinger’ geschrieben?“, fragte mich der junge Mann bezugnehmend auf meine Plakate.

„Ich.“

Er schaute mich sichtlich bewegt an.

„Sie“, sagte er, „Sie, eine Ausländerin!“

„Ich, eine Arierin und eine Nationalsozialistin“, antwortete ich. „Kein des Namens werter Arier kann seine Dankesschuld gegenüber dem Führer – dem Retter der gesamten Rasse – und gegenüber Deutschland vergessen, das nun in Trümmern liegt, weil es für die Rechte, nein, für das Bestehen der überlegenen Menschheit selbst gekämpft hat.“

Meine Antwort, die Betonung auf Aufrichtigkeit legte, schien ihn zufriedenzustellen, aber er bemerkte nichts darauf. Er stellte mir nur einige Fragen.

„Wo haben Sie ‚diese Dinger’ drucken lassen?“, fragte er, wieder von meinen Plakaten sprechend.

„In England.“

„Und Sie haben sie selbst herübergebracht?“

„Ja, ich selbst. Dreimal habe ich Deutschland mit drei aufeinander folgenden Vorräten verschiedener Flugblätter oder Plakate betreten und siebenmal habe ich die Grenze zwischen dem Saarland und der französischen Zone mit einer größeren oder kleineren Anzahl von ihnen überquert. Bis jetzt bin ich noch nie erwischt worden. Die unsichtbaren himmlischen Mächte wachen über mich.“

„Und wie lange haben Sie das nun schon gemacht?“

„Ich habe vor acht Monaten angefangen. Ich hätte angefangen, sobald ich aus Indien gekommen war – vor drei Jahren –, hätte ich damals eine Erlaubnis bekommen, die Grenze unter irgendeinem Vorwand übertreten zu dürfen. Aber ich mußte warten.“

Der junge Deutsche schritt auf mich zu und nahm mich in seine Arme.

Er war viel größer und viel stärker als ich. Ich konnte die Spannung seines athletischen Körpers spüren und seine glänzenden Augen direkt in die meinen hinabschauen sehen.

„Also sind Sie wegen ihm, unserem Führer, vom anderen Ende der Welt gekommen, um uns inmitten unserer Trümmer zu helfen!“, sagte er. Seine Stimme war voll tiefer Ergriffenheit. Er hielt für eine Sekunde inne und fuhr flüsternd fort: „Unser Führer, unser geliebter Hitler! Sie lieben ihn wirklich. Und sie lieben uns wirklich.“

Ich spürte eine Welle unaussprechlicher Fröhlichkeit in meiner Brust sich ausbreiten und errötete tief.

„Ich verehre ihn“, sagte ich, ebenfalls flüsternd. „Und ich liebe alles, wofür er steht und alles was er liebt. Sie, seine getreuen Landsleute, sie sind das Volk, dem zu dienen er sein Leben widmete; sein lebendes Deutschland, so schön, so tapfer und so unglückselig.“

Die glänzenden grauen Augen starrten noch tiefer in mich hinein, als versuchten sie, die Geschichte meines Lebens zu entziffern. „Und Sie“, fragte mich der junge Mann schließlich, „wer sind Sie?“

„Ich habe es Ihnen gesagt: eine Arierin von weit her.“

Im Freien blies der bitterkalte Wind weiter und ich konnte die zerstörte Mauer vor dem dunklen Hintergrund der Nacht sehen. Blitzartig erinnerte ich mich des Anblickes des gesamten Landes; Meilen und aber Hunderte von Meilen zerbröckelnder Mauern, Straßen in denen – wie in der Schloßstraße in Koblenz, die ich gerade erst gesehen hatte – nicht mehr ein einziges Haus stand. Aber ich stellte mir vor, wie entlang jener Straßen eines Tages die Veteranen dieses verlorenen Krieges und der folgenden Jahre der Verfolgung Seite an Seite mit der Jugend des wieder auferstandenen Deutschlands als Armee des Vierten Reiches marschieren würden; aus dem Chaos Ordnung und Stärke, aus Knechtschaft und Tod der Wille zu leben und zu erobern. Und ich lächelte, während eine Träne meine Wange hinabkullerte. Ich fühlte mich so inspiriert, wie ich es selten gewesen war.

„Erinnern Sie sich“, fragte ich, „der großen Tage, als ihr auf den Straßen Paraden hieltet und das Eroberungslied sangt?

Wir werden weiter marschieren,
wenn alles in Scherben fällt,
denn heute gehört uns Deutschland
und morgen die ganze Welt.1 [1]

Hunderte, das heilige Zeichen des Hakenkreuzes tragende Flaggen hingen in festlicher Anordnung von den Fenstern hinab, Tausende ausgestreckter Arme grüßten euren vorbeischreitenden Marsch – den Beginn einer unendlichen Zukunft, an die ihr glaubtet. Erinnern Sie sich daran, wie stark und wie glücklich Sie sich damals fühlten?

Ich weiß, daß die Katastrophe mit ihrer Spur unsäglichen Elends folgte: Hunger, Entbehrung, Knechtschaft, völliger Ruin – jenes Grauen inmitten dessen wir stehen. Und dennoch sage ich Ihnen aus der Tiefe meines Herzens: das Lied des Triumphes war keine Lüge; der gewaltige Traum wird noch wahr werden, wird bereits wahr, trotz aller Phosphorbomben, trotz der vier Jahre voller beispielloser Bedrängnis durch Verfolgung, durch „Entnazifizierung“. Nichts kann ihn davon abhalten, mit verrinnender Zeit wahrer und wahrer zu werden – ‚denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.’“

Ich machte eine Pause und ein Blitz überirdischen Jubels hellte mein Gesicht auf. Ich sprach mit der zwingenden Gewißheit einer Person, für die die Gebundenheit an Zeit und Raum zu bestehen aufgehört hatte.

„Was ich heute denke und fühle“, sagte ich, „ich, die unbedeutende ausländische Nazi, wird die gesamte arische Rasse morgen, nächstes Jahr, in einem Jahrhundert, egal wann, aber sicherlich eines Tages denken und fühlen. Ich bin die erste Frucht einer zukünftigen Liebe und Verehrung von Millionen für unseren Führer und für seine Ideale. Ich bin ‚die ganze Welt’, erobert von seinem Geist, von Ihrem Geist; das lebende Zeichen, Ihnen geschickt von den unsichtbaren Mächten in der Stunde des Martyriums, um euch getreuen Deutschen mitzuteilen, daß die Welt euer ist, weil ihr sie verdient.“

Der junge Mann starrte mich mit großer Ergriffenheit an, drückte mich in seinen Armen noch etwas fester, als sei ich in der Tat die wiedereroberte Welt. Ich war sehr glücklich. Ich wußte, daß ich keinen Schaden anrichtete, denn dieser Mann war nicht Herr G. W.2 [2] als Individuum und ich war nicht Savitri Devi Mukherji. Es lag nichts Persönliches in dieser spontanen Geste seinerseits oder in der ehrerbietenden Unbekümmertheit, mit der ich sie annahm und auf sie reagierte. Dieser junge Soldat war in meinen Augen Deutschlands Jugend, furchtlos inmitten von Verfolgung, sowie im Kampf; einer jener „Männer aus Gold und Stahl“, die ich in dem Buch verherrlicht hatte, das ich damals schrieb. Und für ihn war ich eine ausländische Nazi – Deutschlands Freundin –, nicht weniger, nicht mehr.

Er blickte mich eine Minute lang an, ohne zu sprechen, als sei ein Freund in diesen grauenhaften Tagen etwas Ansehnliches.

„Ich weiß, daß Sie jedes Wort, das Sie sagen, auch so meinen“, flüsterte er schließlich, „und ich danke Ihnen und werde Ihnen helfen. Nach allem was wir erlitten haben, ist es erfrischend, Sie reden zu hören. Sie wecken Hoffnung und Selbstbewußtsein in unseren Herzen. Sie lassen uns fühlen, was jene, die in den frühen Jahren des Kampfes kämpften, nach dem ersten Krieg gefühlt haben müssen. Was ist  es, das Ihren Worten solche Kraft verleiht?“

„Meine Liebe zum Führer. Ich fühle mich inspiriert, wenn ich von ihm spreche.“

„Unser Führer!“, wiederholte der junge Mann mit leidenschaftlicher Hingabe, meine eigenen Gefühle wiederholend. „Sie haben recht. Ich werde Ihnen so viel helfen, wie ich kann. Geben Sie mir alle Plakate, die sie haben.“

Er lockerte seine Umarmung. Ich holte aus meiner Tasche ein Bündel von vielleicht vier- oder fünfhundert Plakaten, verborgen in Modemagazinen, und gab es ihm. Er versteckte es sorgfältig in seiner Kleidung. „Ist das alles?“, fragte er mich.

Ich lächelte. „Nein“, sagte ich, „aber Sie werden doch ein paar für den Rest Deutschlands übriglassen, oder nicht?“

„Sie haben recht“, sagte er und lächelte zum ersten Mal. Er legte meine Hände in die seinen und blickte mich an, als ob er das alles von mir sähe. „Wann und wo kann ich Sie wiedersehen?“, fragte er. „Wir müssen uns wiedersehen.“

„Ich habe keine ständige Adresse“, antwortete ich. „Aber wenn Sie mögen, hinterlassen Sie Ihre – wenn Sie eine haben – bei der ‚Katholischen Mission’ dieses Bahnhofes; ich werde Sie finden. Ich werde in genau einer Woche hierher zurückkehren – irgendwann Samstagnacht – und an diesem Ort nach Ihrer Adresse fragen. In der Zwischenzeit seien Sie vorsichtig, oh, seien Sie vorsichtig! Begehen Sie keinen groben Fehler, der uns beide in Schwierigkeiten bringen könnte. Ich sage nicht ‚verraten Sie mich nicht’, denn ich weiß, daß Sie das niemals tun werden.“

Die freimütigen, aufrichtigen Augen des jungen Deutschen schauten mich aufmerksamer an, denn je zuvor und seine starken Hände drückten meine in einer Geste wiederbestätigter Kameradschaft. „Niemals!“, sagte er und seinen Kopf beinahe auf eine Höhe mit meinem absenkend flüsterte er: „Das Zeichen ist da, auf meiner Haut. Es geht nicht ab. Sie können mir vertrauen.“

Das Zeichen… Ich verstand – und spürte eine in Ehrfurcht ankernde, bewundernde Zuneigung für diesen neuen Freund in mir wachsen. Mein Gesicht strahlte.

„Sie waren also bei der SS?“, fragte ich mit gedämpfter Stimme und in der Art, wie eine römische Maid einen römischen Veteranen gefragt hätte: „Sie waren also bei der Prätorianergarde?“

„Ich habe SS-Männer befehligt“, antwortete der junge Mann stolz, ebenfalls flüsternd.

Ich dachte an alles, was er mir von seinem Leiden in den Händen unserer Feinde erzählt hatte. Und als ich zu ihm hochsah, erinnerte ich mich an die erste Zeile des Liedes der SS-Männer. „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.“

Ich hörte Lärm – das Öffnen und nachmalige Schließen einer Tür – und erschrak, aber es war nicht in unserem Wagon. Doch war mir bewußt, daß der Zug nicht lange leer bliebe.

„Ich werde bald fort sein“, sagte ich. „Sie sollten jetzt besser aussteigen, während niemand zuschaut. Ich werde Sie nächste Woche sehen. Aber seien Sie um Himmels Willen vorsichtig! Auf wiedersehen. Heil Hitler!“

„Heil Hitler!“, antwortete der junge Mann, meinen Gruß erwidernd.

Er verließ den Zug und ging seines Weges. Ich sah zu, wie seine hochgewachsene Gestalt in der bitterkalten Nacht verschwand.

Einige Minuten später fuhr der Zug ab. In einer Ecke des dunklen Abteils sitzend, in dem nun weitere Leute Platz genommen hatten, ging auch ich meines Weges – um in einem anderen Teil Deutschlands weitere Abhandlungen zu verbreiten, weitere Plakate anzukleben; um dabei zu helfen, den nationalsozialistischen Geist in anderen Landsleuten meines Führers lebendig zu erhalten.

Mir war kalt, aber ich war glücklich – oh, so glücklich!